Stockholm, Schweden
Volltreffer
VON MARC-STEFAN ANDRES
Tür auf im Norrmalmstorg. Links vor mir sehr breite Schultern, nackenlange gewellte glänzende Haare, schwarze Bomberjacke, krumme Nase. Dazu noch maulfaul. Und wenn er etwas sagt, ist sein Englisch-Akzent ostblockig herb. Ein Schläger. Was sonst. Ist er auch, aber ganz anders. Ist Boxer. War Boxer. Heute ist er 48 Jahre alt. „Da darf man nicht mehr ran, sollte man auch nicht. Nicht gut für den Kopf.“ Sagt er und dreht sich um. „Interessierst Du Dich für Boxen? Fragst so viel.“ „Hm, schon“, sage ich. Er schaut wieder nach vorne. „Boxen ist nicht Gewalt. Boxen ist Genauigkeit, Eleganz, Kraft, Beweglichkeit, Biss, Abwarten, Fintieren.“
Wir sprechen über Ästhetik, Boxstile, Angst vor den Schlägen. Nicht, dass ich im Gegensatz zu ihm etwas davon verstünde oder Erfahrungen damit hätte. Aber ich habe viel gelesen, Literarisches vor allem, Ernest Hemingway, Norman Mailer, Bertolt Brecht. Und das hat mich immer wieder fasziniert, wie die Kirmesschlägereien in Schlüters Boxbude.
Mein Fahrer nimmt mich mit auf seinen langen Weg, zu Jugendeuropameisterschaften, auf denen die Amateurboxer aus Kuba, Schweden, Deutschland, Jugoslawien oder den USA nach den Kämpfen gemeinsam wilde Partynächte feierten, zu endlosen Trainings mit dem Punchingball, zu Jugendteams, die er selbst trainiert hat. Hinein in den Schweiß, die Schmerzen, die Triumphe und Niederlagen. Mitten rein in seine Liebe zu dem Sport.
Angekommen. Auch im Leben. Ich beim Kunden, er auf dem Weg zur nächsten Fahrt. Ob er noch boxt, frage ich beim Bezahlen. „Nee, aber Taxifahren macht auch Spaß“, sagt er. „Mit dem Sport, das ging nicht mehr.“ Er meint damit nicht nur das Alter, aber mehr sagt er nicht. Ist auch egal. Die 30 Minuten Fahrzeit sind auf gefühlte fünf geschmolzen.