Portland, Oregon, USA
Flüchtige Begegnung
Von Peter Gaide
Es ist Nacht. Die Scheinwerferkegel verfangen sich in dünnem Nebel. Mein Fahrer ist Inder, Mitte 40 etwa. Freundlich, drei Kinder, seit neun Jahren in den USA. Warum? Ach, lange Geschichte. Prüfende Augen im Rückspiegel. Wir haben doch Zeit, sage ich. Er schaltet einen Gang hoch. Nun ja, er sei Arzt – gewesen. Nierenspezialist. Ich nicke. Warte. Ob ich schon einmal etwas von dem Gurgaon-Skandal gehört habe? Armen Indern sei eine Niere entnommen worden, um sie reichen Empfängern einzusetzen. Oft ohne ihre Zustimmung. 25 bis 30 Prozent der „Spender“ seien gestorben.
Er war darin verwickelt. Habe lange nicht gewusst, was gespielt wurde, sagt er. Wahrscheinlich wollte er es auch gar nicht wissen, schiebt er nach. Verdiente umgerechnet fast 2.000 US-Dollar pro Monat. Irre viel sei das in Indien. Als er das ganze Ausmaß erfuhr, stieg er aus. Und wanderte aus. Er flüchtete? Ja, sagt er stockend, so könne man das wohl sagen. Dann sagen wir eine Zeit lang nichts. Das Radio dudelt. Ich suche nach einer Frage, die nicht bescheuert klingt, finde aber keine und frage: Fühlt er sich – schuldig? Pause. Ein bisschen, ja. Denkt manchmal an die Familien der Opfer. Mehr sagt er nicht. Wir sind am Hotel. Er ist mir sympathisch. Trotz der Geschichte, oder gerade weil er sie mir erzählt hat? Wir geben uns die Hand. Später kann ich lange nicht einschlafen.
Peter Gaide ist freier Journalist und schreibt u.a. gerne und regelmäßig für brand eins.